Ich denke aber auch, dass das Image der Cassette ein Anderes ist.
Es geht halt immer um das Rauschen, Leiern, dumpf Klingen... diese „Bleistift - Cassette“ Geschichte. Die Leute romantisieren das total und tun so, als hätten die Kids in den 80ern und 90ern Nichts anderes getan als Cassetten mit Stiften bewegt um Batterien im Walkman zu sparen und Bänder aufgewickelt, weil es ständig Bandsalat gab.
Die Wahrheit ist - und das weiß nur ein kleiner Teil - dass die Cassette dem High End suggerierten Analogmedium Schallplatte und sogar dem Heimtonband überlegen ist, denn die laufen eben meist nicht auf 38 cm/sec 2 Spur, sondern auf 9,5 cm/sec 4 Spur und da hat man im Hochtonbereich - außer mit EE Band - auch mit den letzten und teuersten Maschinen schon echt hörbare Nachteile, die es bei guten Typ II und Typ IV Cassetten sogut wie nicht mehr gibt.
Und für die bestmögliche Wiedergabe einer Cassette braucht man nicht das Teuerste Gerät, es gab auch gute Geräte für 300-350 Mark. Die waren zwar nur einmotorige 2 Kopf Geräte, hatten aber kaum schlechtere Gleichlaufeigenschaften als ein High End Deck und wenn man da vernünftig einmisst und dann eben auch nur diese Cassetten zur Aufnahme verwendet werden die kaum schlechter, als bei ganz großen Geräten, man muss halt länger rumprobieren, bis der Pegel stimmt, aber letztendlich wäre es nicht schwer, ein einfaches und brauchbares Deck für 500 Euro anzubieten.
In den alten Ghettoblastern von Sharp und Co. Schlummern in vielen Geräten auch HiFi Cassettendecks mit Dolby mit hervorragenden Laufwerken. Mein GF 9000 macht gute Aufnahmen und hat erstklassige Technische Daten. Ende der 80er war dann die korrekte Entzerrung nicht mehr so wichtig und die meisten Geräte kamen mit einem vollmechanischen Standardlaufwerk, das alle Hersteller in ihre Geräte bauten, die Dinger sind ganz ok, haben aber keinen besonders guten Gleichlauf und das hört man bei anspruchsvoller Musik. In Vielen solcher Geräte ist dann auch nur ein Permanentmagnet als Löschkopf, weshalb auf vielen Hörspielcassetten dieser Zeit drastisch der Hochton gelitten hat und die kaum noch gut hörbar sind, weil die meisten dieser Geräte eben in Kinderzimmern stand. In den 90ern waren Radiorecorder und Ghettoblaster einfach total out und man konnte von Glück reden, wenn die Dinger im Stande waren eine Typ II Cassette korrekt bespielen zu können.
Meistens waren sie das aber nicht und so kauften die Leute gute Cassetten, die scheiss Aufnahmen lieferten, weil die Geräte nicht darauf ausgelegt waren und man mit einer TDK D oder Ähnlichem bessere Ergebnisse erzielt hätte. Und schon hat man eine dumpf klingende, rauschende Aufnahme, vielleicht kommen noch Reste von der letzten Aufnahme hinzu und wenn der Gleichlauf beim Bespielen schon schlecht ist, summiert sich das bei der Wiedergabe.
Es war die Zeit der immer flacher werdenden Walkmans, die 2 Riemen hatten, wovon einer an vom ersten an den zweiten Capstan ging und gar abartige Wow and Flutter Werte erzeugte, in die eine Richtung dann mehr als in die Andere. Aber für den Konsumer war es wichtiger, dass die Geräte fernbedienbar waren, elektronisch gesteuert mit Mehrfachem Pausensuchlauf und langer Akkulaufzeit. Von jedem Hersteller gab es unzählige Walkmans aber im Endeffekt hatten die in jeder Klasse ein und das selbe Laufwerk, nur Designs und Features variierten und durch die ganze Akku Sparerei war damit kein richtiger Tiefbass möglich und auch kein vernünftiges Anti Rolling.
Sowas gutes wie das solide HS-P Laufwerk von den Aiwa Geräten aus den 80ern, die letztendlich nur minmal dicker waren kaum leichter zu erschüttern als ein Disc Drive von Sony.
Ich bin 86 geboren und in meiner Jugend gab es die DDs noch im Heft, mit 13 habe ich einen zu Weihnachten bekommen, gebaut wurden sie da aber schon lange nicht mehr und die anderen High End Walkmans aus dieser Zeit waren Alle nicht mehr zu gebrauchen, weil die eigentlich nur so teuer waren, weil sie viel Elektronik hatten und eben möglichst flach waren. Mit dem DD 33 hatte ich immer das Beste Gerät, auch wenn es keine Autoreverse hatte.
Trotzdem, vom Einmessen hatte ich damals auch keine Ahnung und die Meisten hatten billige Kompaktanlagen. Während man mit den Markenprodukten zwar auch Plastikbomber hatte, waren dort zumindest brauchbare Cassettenlaufwerke drin, die schon recht gute Aufnahmen mit gängigen TDKs, Maxells usw. machten.
Aber für die Meisten ist die Cassette eben das Billige Kindercassetten LoFi Medium, weil die alle nur miese Geräte in ihrer Kindheit hatten und das Medium dann durch MiniDisc und MP3 verdrängt wurde und sowieso nicht mehr relevant war. Und genau das ist die Zielgruppe, die jetzt auf diesen Retro Zug aufspringt und genau dieses Scheiss Cassetten Gefühl zurück haben will, die haben keinen Anspruch und die wollen auch nicht belehrt werden wie geil die Cassette sein kann. Die wollen mutwillig dass es rauscht und Leiert und fadet, weil die genau das mit der Cassette und ihrer Kindheit verbinden und das so schön romantisch und kuschelig ist.
Genau so ist es mit der Schallplatte ja teilweise auch. Bei vielen habe ich das Gefühl, die wollen gar nicht, dass es bestmöglich klingt, sondern die wollen diesen „K-TEL Sound“ und die Leute, die ihre Tapedecks vom Flohmarkt kaufen wissen meistens nicht, dass die Geräte so ziemlich in 95% der Fälle eine Wartung und Überholung brauchen. Wenn das dann „irgendwie noch geht“, der Azimut nicht mehr stimmt und es vielleicht etwas leiert denken die „Das ist eben der Cassettensound, ganz normal.“ und diese Zielgruppe wirst du nicht davon überzeugen, dass es Sinn macht sich ein gutes Deck zu kaufen bzw. Ihr gutes Gebrauchtes überholen zu lassen. Ich denke auch, dass die meisten Fachwerkstätten keine Ahnung mehr haben. Die nehmen das Gerät dann, reinigen den Tonkopf, lassen es 2 Wochen stehen und behaupten es sei Alles in Ordnung und das kostet dann 50 oder 80 Euro. Der Kunde ist aber zufrieden, weil er denkt es sei vom Fachmann überholt und Alles ist Bestens.
Und deshalb glaube ich nicht, dass es noch mal gute Geräte geben wird. Die Masse scheisst ja eh auf Qualität. Ich finde es abartig, wenn ich weiß, es geht besser und dann kauft aber einer son Digitalisierer Walkman mit USB und sagt dann „Für mich reicht das aus.“, wenn ich bei YouTube wieder alte Hörspiel Rips finde, wird mir echt schlecht, wenn ich höre, wie scheisse das klingt. Wenn ich eine gut erhaltene Cassette aus der Zeit bekomme und das digitalisiere, dann kommen da ein paar Filter drüber und nach Azimut Korrektur usw. klingt das dann fast wie von CD. Es ist mir unbegreiflich, wie wenig Mühe sich die Leute mit sowas geben und es ist schade wie viel dadurch einfach auf der Strecke bleibt, weil manche Sachen von früher niemals auf CD oder bei Spotify und Co. Re Released werden und die Cassetten selbst bei eBay manchmal nicht mehr auftauchen und dann hat man eben nur die Möglichkeit solche ekelhaften Rips im Internet zu hören und dann denken Alle „ja man hört direkt, dass das von Cassette ist, das waren noch Zeiten...“ und schreiben genau das in die Kommentare, weil das aus Ihrem Dosen Cassettenrecorder für 30 Mark in der Kindheit genau so ätzend klang, aber so ist das nunmal :-(
LG Tobi