Hallo Friedrich,
könnte das Störspektrum vielleicht dadurch entstanden sein, dass die 6,5 mm breiten RRG-Bänder in der 6,3 mm-Bandführung von anno 196x geklemmt und dadurch so etwas wie höherfrequentes Modulationsrauschen erzeugt hätten? Auch raue Bandkanten kämen in Frage. Reine Spekulation, niemand kann sagen, ob damals die Abspielmaschine entsprechend hergerichtet war (auch in puncto Entzerrung ... jetzt wird's schwierig ...).
Ja, durch die bedauerliche „Beweismittelvernichtung“ nach erfolgtem 38er Umschnitt ist es kein Leichtes, mögliche Ursache(n) klar und eindeutig zuzuordnen.
Zunächst kann ich sagen, dass das Störspektrum zwar in beiden Kanälen etwa gleich stark vorhanden ist, jedoch nicht mit Korrelationsgrad 1. Es verhält sich also nicht wie ein auf Pan-Pot-Mitte zugemischtes Monosignal, wie es z.B. für UKW-Pilotton oder FS-Zeilenfrequenz typisch wäre. (Bei einem Azimutfehler als evtl. Ursache würde ich ein weniger stabiles Störsignal erwarten.)
Dass es sich hier um Bandlängsschwingungen und dadurch verursachtes Modulationsrauschen beim wiedergegebenen Band handeln könnte, scheint mir eher unwahrscheinlich, hauptsächlich aus zwei Gründen:
1) Bandmaterial aus Kriegs- und Vorkriegszeiten habe ich schon häufiger auf dem Teller gehabt, doch bei Standardbändern - gleich welchen Alters - habe ich mechanische Eigenschwingungen mit so hoher Frequenz, so schmalbandig und in dieser Gleichmäßigkeit bislang noch nicht erlebt.
2) Bei Modulationsrauschen - egal ob bei Aufnahme oder Wiedergabe entstanden - würde ich aus Erfahrung erwarten, dass das Störspektrum mit steigendem Pegel der Nutzmodulation ebenfalls stärker (und meist auch breiter) wird. Dies ist hier jedoch nicht der Fall: Es verhält sich wie ein zusätzlich aufgezeichetes, mehr oder weniger konstantes Signal.
Anmerkung: Wenn Bänder in um 0,2 mm zu schmalen Bandführungen klemmen, würde sich dies - je nach Art der Bandführung - in einer merklichen mechanischen Mehrbelastung äußern, die nur bei größter Schlamperei unbemerkt geblieben wäre. Zum Beispiel würde ich gegen Ende des Bandwickels erhebliche Tonhöheschwankungen erwarten, die beim Beethoven-Klavierkonzert (v.a. in den lang gehaltenen freiliegenden Akkorden am Ende des 3. Satzes) jedoch ausbleiben.
Ich könnte mir eher vorstellen, dass das Störspektrum auf elektrischem Wege in den Aufnahmekanal geraten ist, entweder während des 38er Umschnitts, oder - wie dem Vernehmen nach Hans-Joachim schon vermutete - bei der Digitalisierung.
Zur Wiedergabeeentzerrung des Originals: Hat man sich eine klangliche Vorstellung der bei diesen Stereoversuchen verwendeten M1a Kapseln erworben und weiß um die ungefähre Aufstellungsentfernung und die natürlichen Klangfarben der beteiligten Instrumente (vor allem hohe Streicher und Blechblasinstrumente), so braucht man sich aus meiner Sicht um die 4 dB Pegeldifferenz, die zwischen 17,5 und 35µs bei 10 kHz besteht, eigentlich keine allzu umfangreichen Gedanken zu machen:
Erstens ist nicht verlässlich zu ermitteln, welche Sorgfalt bei der Anfertigung der ursprünglichen 76er Kopien angewendet wurde - nach meiner Erinnerung berichtet Krüger, dass auch seine Kostener Exemplare lediglich Kopien der Originale waren (was mir sofort einleuchtet) -, zweitens ist die Alterung und ein evtl. damit verbundener Höhenverlust vor allem der 76er Kopien völlig unbestimmt (und wegen ihrer „Entsorgung“ auch unbestimmbar geworden), und drittens lag - soweit ich informiert bin - die RRG Entzerrung irgendwo in der Mitte zwischen den besagten 17,5 und 35 µs. Die Abweichung von jeder der beiden Entzerrungskurven wäre demnach mit etwa 2 dB bei 10 kHz anzunehmen. Nicht eben viel, wenn man beispielsweise berücksichtigt, wie stark bereits die Frequenzgänge von Mikrofonkapseln desselben Typs zur damaligen Zeit voneinander abweichen konnten (speziell zu den Höhen hin, sobald man die Größe der Kapsel berücksichtigt …).
Es ist zwar durchaus möglich, dass bei der 38er Kopie das 76er „Original“ mit 35 µs wiedergegeben wurde, doch könnte dies der notorischen Neigung zu Höhenverlusten bei historischen Aufzeichnungen durchaus erwünscht entgegenwirken.
Verglichen mit der mir vertrauten Klangsignatur der CMV3 / M1a - die natürlich meistenteils restaurierte Exemplare sind, so viel „Originalklang“ geht nach so langer Zeit nun wirklich nicht - wirkt die Bruckner-Stereoaufnahme auf mich im Bereich um 4-7 kHz deutlich überhöht und überdies ab 100 Hz abwärts etwas „schwachbrüstig“. Dies bringt mich zu einer weiteren Besonderheit gerade dieser Aufnahmen (man ahnt schon, alles hängt mit allem zusammen, was das Navigieren durch die zahlreichen denkbaren Möglichkeiten und Stolperfallen nicht unbedingt erleichtert …):
Insgesamt würde ich der Bruckner- und Beethoven-Aufnahme (wie gesagt: im Verhältnis zu den klanglichen Besonderheiten der M1a Kapseln) einen tendenziell blechernen, topfigen Eindruck mit deutlich hervortretenden Resonanzen in den Celli, Kontrabässen und nicht zuletzt bei den Pauken bescheinigen. Zudem liegt auf der Kopie ein - für mein Dafürhalten - unnötig langer Hall, der mit großer Wahrscheinlichkeit erst bei der 38er Überspielung hinzugefügt wurde, vermutlich aus einem Hallraum und ohne die notwendige (und inzwischen wesentlich leichter machbare) Signalverzögerung.
Hierfür sprechen mindestens drei Indizien:
1) Der Hall ist für den Aufnahmeraum (Saal 1 im „Haus des Rundfunks“) im damaligen Bauzustand vollkommen untypisch.
2) Von Bruckners Satz 2 und 3 existiert mit gleicher Besetzung und im selben Aufnahmeraum eine Monoaufnahme. Diese enthält den Hall aus Satz 4 nicht.
3) Die Brahms-Mitschnitte der AES-CD zeigen ebenfalls ein deutlich trockeneres Klangbild, dessen Raumeindruck hauptsächlich geprägt ist von der Akustik des Bühnenbereichs (vor allem den ersten Reflektionen von Vorder- und Seitenwänden).
Die Stereoaufnahmen von „Beethoven“ und „Bruckner“ hinterlassen demgegenüber einen Eindruck merklicher Zweiräumigkeit, das heißt, die im Aufnahmeraum vorhandene Räumlichkeit und die des „Nachhallschwanzes“ verschmelzen nicht wirklich miteinander. Nach Hörerfahrung mit vergleichbaren Aufnahmesituationen und Tonträgern drängt sich der Eindruck auf, als ob hier an ein relativ klar und trocken klingendes kleineres Bühnenhaus eine größere, relativ unstrukturiert wabernde Kathedrale angeschlossen worden wäre. (Meine Reaktion auf solche Misch-Akustiken - in natura oder als Reproduktion – lautet spontan meist: „Wer hat denn da die Tür aufgelassen?!“)
wenn sich auf einer Bandaufnahme, deren Frequenzbereich nach technischem Stand zum Aufnahmezeitpunkt maximal bis 10 kHz reicht, noch höhere Frequenzen finden, dann sind das mit einiger Sicherheit Klirrprodukte, die das Band produziert - das fällt beim Digitalisieren natürlich einmal auf.
So ist es. Klassische Studienobjekte hierfür finden sich zum Beispiel bei den für Bruckner charakteristischen massiven Trompeten- und Posaunensätzen (in dieser Aufnahme bei 6:44, 13:05, 17:33, 19:16, 23:11, und natürlich gegen Schluss ab 26:54). Hier hört man nachgerade, wie bei der Magnetisierung „der Deckel zugeht“, also die mehr oder weniger starke Kompression der Höhenanteile ab spätestens 3 kHz und die streckenweise quälenden Differenzton- und Intermodulationseffekte, die den Klang in Richtung "rotzig" verändern.
in diesen Passagen - quasi im gleichen Atemzug - steigt in der FFT-Analyse der Anteil der Partialtöne oberhalb 10 kHz überproportional an, was ziemlich sicher auf Klirrprodukte schließen lässt. Diese mögen ein definitiv brillanteres Klangbild bewirken, nur ist dies gewissermaßen „erschummelt“, denn das verstärkte Vorkommen ausschließlich ungeradzahliger Harmonischer (k3, k5 …) entspricht nicht der natürlichen Veränderung des Klangspektrums der meisten Musikinstrumente.
Soviel vorerst von meiner Seite dazu.
Grüße, Peter